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Betriebsintegrierte Arbeitsplätze erwirtschaften höhere Erlöse als klassische Gruppenarbeit

Über eine Erkenntnis, die sich noch nicht rumgesprochen hat

Bild Betriebsintegrierte Arbeitsplätze erwirtschaften höhere Erlöse als klassische Gruppenarbeit

 22. April 2024 |  53° NORD | Textbeitrag

  Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe, Kostenfreie Artikel

„Was bedeutet das Ende des Wachstums für die Werkstätten?“, so der Titel eines Seminars, das 53° NORD im Februar letzten Jahres veranstaltete. Rolf Tretow, Geschäftsführer der Elbe-Werkstätten, beschrieb damals, wie seine Werkstatt mit rückläufigen Belegungszahlen umgeht und welchen Stellenwert die ausgelagerten Arbeitsplätze bei dem Betriebsergebnis haben.

Wirtschaftlicher Erfolgsfaktor Außenarbeit

Einige Fakten, die er seinen Zuhörern fast beiläufig präsentierte, ließen aufhorchen. 12,5 Prozent der Beschäftigten im Arbeitsbereich der Elbe-Werkstäten, so Tretow, waren 2022 auf ausgelagerten Einzelarbeitsplätzen tätig und erzielten 42,5 Prozent des Betriebsergebnisses. In ausgelagerten Arbeitsgruppen arbeiteten weitere 11,1 Prozent der Beschäftigten tätig, sie trugen mit 36,1 Prozent zum Betriebsergebnis bei. Drei Viertel der Werkstattbeschäftigten, exakt 76,4 Prozent, arbeiteten in den eigenen Produktionen und Dienstleistungen der Werkstatt und erwirtschafteten mit 21,3 Prozent nur rund ein Fünftel des Betriebsergebnisses.

Mit betriebsintegrierten Arbeitsplätzen lässt sich offenbar deutlich mehr erwirtschaften als mit klassischer Werkstattarbeit. Bundesweit hat sich diese Erkenntnis allerdings noch nicht durchgesetzt. Der jüngste Kennzahlenbericht der BAGüS weist den Anteil betriebsintegrierter Arbeitsplätze mit lediglich 3,7 Prozent aus (S. 40). Wir fragten nach bei der Firma CONSENS, die im Auftrag der BAGüS die Zahlen erhoben hat, was genau sich hinter dieser Kennzahl verbirgt. Die Antwort: Gefragt wurde nach den betriebsintegrierten Einzel- und Gruppenarbeitsplätzen, ausgelagerte Werkstattbereiche wie der Garten- Und Landschaftsbau oder das Café in der Fußgängerzone sind nicht enthalten. Von der 23 überörtlichen Trägern verfügten nur 11 über die entsprechenden Zahlen. Die Spanne lag zwischen 1,7 und 23 Prozent. Spitzenreiter waren Hamburg, Hessen und der Landschaftsverband Rheinland.

Werkstatt als Maßnahme

Auch wenn nicht alle Eingliederungshilfeträger Auskunft geben konnten, dürfte die Zahl die Realität widerspiegeln und damit viele Experten überraschen. Sie gingen bisher von einem Anteil von ungefähr 10% betriebsintegrierter Arbeitsplätze aus: Die klassische Definition der Werkstatt als Gebäude werde zunehmend abgelöst von der Deutung „Werkstatt ist eine Maßnahme“. Unter einer „WfbM“ sei auch der betriebsintegrierte Einzelplatz oder die Arbeitsgruppe zu verstehen, die in den Räumen ihres Auftragsgebers arbeitet und unmittelbar in dessen Fertigungsprozess eingebunden ist.

Dass sich diese Sichteise bisher kaum durchgesetzt hat, dürfte auch mit der langfristigen Auslastung der Werkstattgebäude zu tun haben, in die ja nicht unerhebliche Mittel geflossen sind, zumal das Wachstum der Werkstätten nach den Kennzahlen der BAGüS offenbar seinen Scheitelpunkt überschritten hat. Bei den Elbe-Werkstätten ist dieser Schrumpfungsprozess schon seit längerem zu beobachten. Rolf Tretow berichtete in seinem Vortrag über einen Rückgang von 5,6 Prozent der Beschäftigten zwischen 2018 und 2022. Bis 2027 würde ein weiteres Minus von 2 Prozent erwartet.

„Wir haben mittlerweile freie Flächen von 14.000 qm, die wir mit unserer eigenen Produktion nicht mehr auslasten.“ Die Lösung: „Wir vermieten sie an Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Das bringt uns Aufträge, erleichtert die Auftragsabwicklung, unsere Beschäftigten können leichter in deren Produktion mitwirken und es gibt einen integrativen Effekt, weil die Mitarbeiter der Firmen mit uns die Sozialräume und Kantinen teilen.“

Hindernis fehlender ÖVPN

Als Hindernis für eine Auslagerung wird zudem der fehlende öffentliche Nahverkehr in den Flächenländern genannt, der sich mit den Bedingungen der Metropolen nicht vergleichen ließe. Allerdings hat auch die Lebenshilfe Bamberg in ländlich strukturierten Oberfranken eine Quote von über 20 Prozent Außenarbeitsplätzen vorzuweisen. Betriebsintegrierte Einzelplätze in Kindergärten, Altenheimen oder Lebensmittelläden lassen sich auch in kleineren Gemeinden wohnortnah realisieren, mit dem Vorteil der Einbindung der Beschäftigten in ihr Wohnumfeld, der Einsparung von Beförderungskosten und der Vermeidung langer Fahrtwegen. Die Quote der betriebsintegrierten Berufsbildungstage liegt bei den Bambergern sogar bei 50 Prozent.

Die Problematik der sogenannten Leistungsträger

Ein dritter Grund für die Zögerlichkeit, Arbeitsplätze auszulagern, dürfte in der Sorge um die anspruchsvollen Produktionen liegen, die die Werkstätten aufgebaut haben und die leistungsfähige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen benötigen. In einem Interview mit 53° sagte dazu Sven Neuman, bei den Elbe-Werkstätten in Hamburg zuständig für die ausgelagerten Einzelplätze: „Bei uns haben die Abteilungen durch den Weggang von Beschäftigten noch keine Aufträge verloren. Die Gruppenstärksten wollen gar nicht raus, weil sie um ihre Stellung wissen. Wenn sie gehen, verlieren sie diesen Status. Wir suchen ja diejenigen, die für den Wechsel motiviert sind, und das sind in der Regel Leute aus der zweiten und dritten Reihe.“

Die Werkstatt der Zukunft

Die Werkstatt der Zukunft ist für Sven Neumann ein Mix aus „klassischen“ Werkstattplätzen und einem hohen Anteil ausgelagerter Arbeit: „Wir werden weiterhin einen geschützten Bereich brauchen. Und wenn die Werkstatt ‚integrativer‘ wird, also überwiegend aus betriebsintegrierten Arbeitsplätzen besteht, bleibt sie eine Werkstatt, nur in anderer Form. Sie ist sogar attraktiver: Das Arbeitsangebot ist vielfältiger, der Betrieb ist einfacher zu organisieren und produktiver.“ Das Produktivitätsargument, also die Wirtschaftlichkeit ausgelagerter Arbeitsplätze ist nachweisbar: Das Durchschnittsentgelt der Elbe-Werkstätten hat sich durch die Erlöse aus den betriebsintegrierten Arbeitsplätzen deutlich erhöht.

Eine kostenfreie Zusammenfassung des Seminars „Was bedeutet das Ende des Wachstums für die WfbM“ finden Sie hier.

Den kostenpflichtigen Beitrag „Wir haben mehr Anfragen für Vermittlung als Interessenten“ über die Außenarbeit in Hamburg finden Sie hier.

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